Sie befinden sich hier: Liebe & Leben

Keine Lust auf Sex: Eine offene Beziehung als Lösung?

Wenn die Lust auf Sex nachlässt ...

Wenn ein Mann die eigene Frau zwar liebt, aber die Lust auf Sex – nicht nur mit ihr, sondern generell – mit den Jahren versiegt ist, stellt sich früher oder später die Frage, wie man mit dieser Situation umgehen soll, vor allem wenn die Option der Trennung nicht zur Debatte steht. Wie wäre es, wenn man ihr einfach offen zugesteht, sich für diese besonderen Stunden einen anderen Mann zu suchen? Eine offene Beziehung zu leben?

Und plötzlich ist die Lust auf Sex weg

Reto und Marika sind seit 1995 verheiratet, wenige Jahre zuvor hatten sie sich über gemeinsame Bekannte auf einer Vernissage kennengelernt. Sie, knapp 10 Jahre jünger als er, steckte in ihrem Studium der Kunsthistorik, er hatte seine Promotion abgeschlossen, entschied sich nach wenigen Jahren in der Lehre jedoch dafür, als freischaffender Künstler seinen Weg zu gehen. „Marika und ich lebten ein zwar ab und an recht chaotisches, aber dennoch sehr freies und spannendes Leben. Für uns war ziemlich bald klar, dass wir keine Kinder möchten, damals fühlten wir uns beim Gedanken daran eingeschränkt und konnten uns unseren abwechslungsreichen Alltag mit Kindern nicht vorstellen. Wir hatten einen großen Freundeskreis, mit dem wir gerne und oft etwas unternahmen. Die Kunst war unsere große Leidenschaft – und auch von uns selbst und unseren Körpern konnten wir zu Beginn nicht genug bekommen, hatten ständig Lust auf Sex, wobei schon immer Marika diejenige war, die gerne öfter Sex hatte und dementsprechend meistens mich verführte, und nicht umgekehrt – aber darüber möchte man sich als Mann doch nicht beklagen, ich genoss es sehr. Ich kann nicht sagen, wann es genau begann, aber vor einigen Jahren spürte ich dann erstmals das Gefühl, dass ich jetzt eigentlich viel lieber keinen Sex hätte …“

„Ist das normal oder bin ich irgendwie komisch?“

Glaubt man dem Klischee, dann sind es eher die Frauen, bei denen im Laufe der Zeit die Lust auf Sex nachlässt. Männer hingegen, so könnte man meinen, möchten nicht ohne Sex sein – und fehlende Lust auf Sex sei definitiv ein Frauenproblem. Doch dem ist längst nicht so. „Als ich immer häufiger keine Lust auf Sex hatte und meine Frau diesbezüglich abwies, machte ich mir dann schon Gedanken, ob mit mir alles stimmt“, erzählt Reto weiter. „Nicht in Bezug auf die Potenz, das war nicht das Problem, sondern eher in der Hinsicht, ob ich vielleicht unterschwellige psychische Blockaden habe. Aber was sollte das denn sein? Ich liebe meine Frau sehr, genieße unsere Gespräche, gemeinsame Ausflüge und auch zärtliche Gesten – nur der Sex war und ist einfach nicht mehr mein Metier.“

Wie man sich fühlt, wenn man ständig abgewiesen wird

Oft schwindet die Lust auf Sex schleichend und nicht von einem Tag auf den anderen. Dennoch bemerkt es der Partner häufig recht schnell, da seine Libido und sein Verlangen nach Sex sich nicht maßgeblich verändern, allenfalls wird die Frequenz im Laufe der Jahre ein bisschen weniger, was aber in fast allen Beziehungen vorkommt und auch bis zu einem gewissen Grad normal ist, solange die Lust auf den anderen nicht gänzlich erlischt. Es ist auch normal, wenn der Partner mal deutlich macht, dass er gerade keine Lust auf Sex hat – das kennen wir alle, mal ist man einfach müde, hat den Kopf voller Gedanken oder möchte schlichtweg gerade etwas anderes machen. Sex auf Knopfdruck ist ohnehin ab einem gewissen Grad eine Illusion, die Stimmung muss passen. Wenn man jedoch immer wieder abgewiesen wird, keine Zärtlichkeiten erwidert werden und der Partner schon durch seine Haltung suggeriert, dass er keine Lust auf Sex hat, kann das auf Dauer zermürbend sein.
„Irgendwann tat es mir auch leid, Marika immer zurückzuweisen. Ich sah es in ihren Augen, dass sie manchmal einfach nicht verstand, warum. Und das schlimme war ja: Ich konnte es ihr auch nicht sagen, meine Lust war einfach nicht da und ich bin auch nicht der Typ, der diesbezüglich etwas vorspielt, was bei Männern ja auch nicht so einfach ist. Klar, ich befriedigte sie dann manchmal mit der Hand oder mit meiner Zunge, aber wir spürten beide, dass das auf Dauer auch keine Lösung war. Wenn wir dann doch alle paar Wochen mal Sex hatten, war ich kaum bei der Sache und versuchte das Ganze so schnell wie möglich hinter mich zu bringen, Experimentierfreude und leidenschaftliche Nächte waren absolute Fehlanzeige. Nachdem das einige Monate so gegangen war, kam sie öfter später nach Hause. Da sie mittlerweile als Kuratorin tätig war, erklärte sie dies mit Ausstellungen, die vorbereitet werden wollten, längeren Gesprächen mit Künstlern und Veranstaltungen, auf denen sie sich sehen lassen wollte. Ich witterte sofort einen Nebenbuhler, sah in jedem der von ihr betreuten männlichen Künstler ihren potentiellen Liebhaber und ich verging fast vor Eifersucht. Als ich sie einmal damit konfrontierte, blickte sie mich traurig aber dennoch in diesem Moment eiskalt an und sagte ‚Und wenn es so wäre, hättest DU mich soweit gebracht!‘ Das saß. Ich weiß bis heute nicht, ob sie tatsächlich eine geheime Affäre hatte, aber ich nahm dies zum Anlass für ein langes, klärendes Gespräch – und was ich ihr am Ende vorschlug, damit hätte ich zu Beginn selbst nicht gerechnet.“

„Ich suche einen Mann für meine Frau!“

„Ich hatte mir zwar schon öfter Gedanken darüber gemacht, wie befreiend es für mich wäre, wenn das Thema Sex zwischen Marika und mir eben kein Thema mehr wäre, wir aber unsere Beziehung so innig und glücklich weiterführen könnten wie jetzt. Wie man das am besten anstellt, wurde mir in unserem Gespräch schlagartig bewusst: jemand anderes muss diese Rolle spielen, die ich nicht mehr erfüllen kann. Jemand, dem es genauso geht wie ihr, der seine Lust befriedigen möchte, jedoch keine weiteren Avancen macht. Zunächst zugegeben ein komischer Gedanke, doch der Gedanke, meine Frau noch länger unglücklich zu sehen, war unerträglich, also wählte ich in meinen Augen das kleinere Übel und sagte ihr, dass ich sie liebe und mir wünsche, dass sie ihre Lust mit einem anderen Mann auslebt. Mir war nur wichtig, dass es ein seriöser und vertrauenswürdiger Mann war und dass er im selben Boot sitzt, also wirklich nur an einer erotischen Freundschaft interessiert ist.“

Diesen Schritt zu gehen ist eine große persönliche Leistung, denn sicher ist es nicht leicht, selbst den Anstoß für eine außereheliche erotische Beziehung des Partners zu geben. In Retos Fall war die Beziehung zu Marika jedoch zu wertvoll, um für den Rest des gemeinsamen Daseins unglücklich nebeneinanderher zu leben. Ob es Sinn macht, den Affärenpartner der Frau kennenzulernen, wenn man ohnehin davon weiß und es toleriert? Das ist natürlich individuell verschieden, Reto nahm davon Abstand: „Als sie mir eines Abends sagte ‚Reto, ich habe jemanden gefunden, mit dem es passt.‘ war ich komischerweise fast erleichtert. Ich fragte, wie er hieß, wie alt er ist, in welchen Verhältnissen er lebt – und auch wie er aussieht. Ralf, sogar ein Jahr älter als ich, verheiratet, zwei Kinder, Mathematiker, sehr gepflegt und seinem Alter entsprechend attraktiv, aber kein Richard Gere. Puh. Damit konnte ich leben.

Mich beruhigte das Wissen, dass er beruflich in einem ganz anderen Umfeld zu tun hatte, unsere gemeinsame Passion Kunst blieb also hoffentlich nur uns beiden vorbehalten und ich musste keine Bedenken haben, dass er diesen Platz auch noch einnimmt und zukünftig er sie auf Vernissagen begleitet, und nicht ich. Persönlich kennenlernen möchte ich ihn jedoch nicht, ich glaube, das wäre auch für alle Beteiligten komisch. Wenn ich seine Stimme hören würde, die Art wie er sich bewegt sehen könnte – ich glaube das wäre eher ein Auftakt zu einem Kopfkino, das ich nicht haben möchte. Außerdem, würde ich ihn nach einem Treffen unsympathisch finden, wäre ich glaube ich bei weiteren Treffen zwischen meiner Frau und ihm beunruhigt. Mit seinen Rahmendaten komme ich gut zurecht, außerdem ist es letztendlich die Entscheidung meiner Frau, wen sie sich für ihre Affäre auswählt.“

Wie sieht die Zukunft zu dritt aus?

Wenn Sex von einem Paarteil nicht gewünscht ist und das erotische Erleben somit aus der Beziehung ausgelagert wird, um dem anderen Paarteil gerecht zu werden, kann das eine gute und dauerhaft mögliche Lösung sein. In vielen Fällen bleiben Affären geheim, wenn man damit jedoch so offen umgeht, wie in Marikas und Retos Fall, ist es oft eine zusätzliche Erleichterung, abgesehen vielleicht von der anfänglichen Umstellungs- und Gewöhnungsphase.
Sex ist und bleibt für viele Frauen und Männer ein wichtiger Bestandteil der Beziehung und man leidet, wenn dieser nicht vorhanden ist. „Nach all meinen Erfahrungen, die ich nun in dieser Hinsicht gemacht habe, ist mir klar geworden, dass ich für unseren Fall richtig gehandelt habe“, sagt Reto abschließend. „Ich habe eine Komponente aus unserer Beziehung für jemanden anderen freigegeben, aber dafür habe ich alle anderen Bestandteile behalten. Es war sehr emotional und gerade zu Beginn nicht immer einfach, aber ich habe mir dann immer vorgestellt, wie es wäre, lebte ich in der umgekehrten Situation. Mir fielen auch plötzlich ähnliche Konstellationen im weitläufigen Bekanntenkreis auf, das heißt, eher unglücklichere Beispiele: Fälle, in denen die Beziehung an der Zermürbung zerbrach, die es mit sich brachte, wenn Paare über Jahre hinweg unerfüllt nebeneinanderher lebten. Marika und ich sind nach wie vor sehr innig verbunden, jedoch ist der Druck vor allem auf meiner Seite gewichen. Wir haben einen zärtlichen Umgang und ja, ab und zu – wenn auch selten – haben wir sogar Sex, aber auf eine unangestrengte und ungezwungene Weise, was früher kaum mehr möglich war. Marika trifft sich ein bis zweimal im Monat für ein paar Stunden mit Ralf, sie gehen essen und danach in ein Hotelzimmer, ich küsse sie zum Abschied und wünsche ihr viel Spaß.“

Drucken