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Emotionale Affäre: Betrug auch ohne Sex?

Eine emotionale Affäre kann intensiver sein, als eine sexuelle Affäre

Es prickelt. Man hat sich viel zu sagen. Das Gefühl, einen Seelenverwandten gefunden zu haben, mit dem man sich perfekt versteht, ganz ohne Sex: typische Merkmale einer emotionalen Affäre. Aber ist das bereits fremdgehen?

„Irgendwann habe ich mich gefragt: Was ist das jetzt eigentlich?“, erzählt Yvonne (46) von ihrer platonischen Affäre. „Paul habe ich über ein Online-Portal kennengelernt, und wir waren nach kurzer Zeit beste Freunde. Nein, mehr als das. Wir konnten über alles schreiben, haben uns unseren Ehefrust von der Seele geschrieben, stundenlang miteinander telefoniert und eine wirklich starke emotionale Verbindung zueinander aufgebaut. Sex war dabei jedoch nie ein Thema. Wir haben uns sogar in Gesprächen unterstützt, unsere Beziehungen wieder auf Vordermann zu bringen und die partnerschaftlichen Probleme zu lösen. Dennoch habe ich bei alldem das Gefühl, meinen Mann Oliver mit Paul zu betrügen.“ Es gibt sie tatsächlich: Affären, bei denen Sex nicht im Vordergrund steht, sondern emotionale Tiefe und Verbundenheit. Dies geschieht sogar öfter, als man vielleicht annehmen möchte. Wer in einer festen Partnerschaft lebt, stellt sich dann wie Yvonne aber meist irgendwann die Frage, ob diese Art der platonischen Beziehung einen Betrug am Partner darstellt und woran man das erkennt …

Wo beginnt der Betrug?

Sind es die liebevollen Gute-Nacht-Zeilen, die man sich schreibt? Ist es die Tatsache, dass man viele sehr persönliche Dinge miteinander teilt? Oder hegt man auch schon erotische Gedanken an die andere Person, auch wenn diese nicht in die Tat umgesetzt werden sollen? Es gibt viele Menschen, die übers Internet eine sehr intensive Beziehung miteinander leben, ohne Sex miteinander zu haben und oft auch, ohne sich jemals zu treffen. Dass dieser Austausch jedoch meist ohne Wissen des Partners geschieht, zeigt bereits, dass eine emotionale Affäre sich für die Beteiligten schon ein bisschen nach „Fremdgehen im Kopf“ anfühlt. Yvonne geht das nicht anders: „Ich habe meinem Mann nichts von Paul erzählt und bin auch sehr bemüht, dass nichts davon auffliegt. Irgendwie habe ich nämlich schon ein schlechtes Gewissen und das Gefühl, ihn zu betrügen. Auch wenn ich Paul nie getroffen habe und Sex in unseren Gesprächen keine Rolle spielt.“ Ist eine Affäre ohne Sex also tatsächlich Betrug? Beginnt Untreue bereits im Kopf?

Das Bauchgefühl trügt selten

Hat man wie Yvonne ein ungutes Gefühl und verheimlicht die Freundschaft zu der dritten Person vor dem Partner, hat dies meist einen guten Grund. Intensive Gefühle, Suche nach Nähe oder ständiges Aneinanderdenken, all dies sind Faktoren, die dem Verliebtsein ähneln, auch wenn der sexuelle Aspekt fehlt oder nur im Kopf stattfindet. Man fühlt und tut etwas im Verborgenen, weil man fürchtet, dem Partner könne diese „platonische Freundschaft“ nicht gefallen. Ähnlich wie in einer erotischen Affäre lebt man auch in der rein emotionalen Affäre Dinge aus, die in der Partnerschaft zu kurz kommen oder fehlen. Ganz wichtige, für das eigene Glück essenzielle Dinge, die mit dem Partner gerade nicht möglich sind. Gute Gespräche, Alltagsfluchten, gegenseitiger Anteilnahme, aufeinander eingehen, sich zuhören, emotionale Nähe finden. Und auch der Reiz des Verbotenen spielt hier eine Rolle.

Warum wird man überhaupt emotional untreu?

Es gibt zahlreiche Gründe dafür, dass man sich auf eine emotionale Affäre einlässt. Über allen steht die Unzufriedenheit in der bestehenden Partnerschaft. Irgendetwas fehlt, läuft nicht rund: Vielleicht bekommen wir zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung, vielleicht ist im ganzen Alltagsstress kein Platz mehr für Zweisamkeit. Vielleicht stimmt auch der Sex nicht, es gibt keine Zärtlichkeiten oder Kuscheleinheiten mehr. All das lässt uns nach Ersatzbefriedigungen suchen. Nach der Ergänzung, die uns zu unserem Glück noch fehlt. Und das geht auch ohne Sex. Besonders Frauen wollen oft den letzten Schritt nicht gehen und ihren Partner körperlich betrügen, weil ihnen Treue vermeintlich wichtiger ist als Sex. Das schlechte Gewissen beim emotionalen „Seitensprung“ bestätigt aber, dass es doch nicht so einfach ist. Wer sich emotional sehr stark auf einen anderen einlässt, tut im Prinzip nichts anderes als jemand, der körperlich seine Wünsche auslebt.

Und wie sehen das die Betrogenen?

Auch Psychologen bestätigen, dass der tatsächliche Vollzug des sexuellen Aktes im Prinzip keine Rolle spielt. Fliegt nämlich eine emotionale Affäre auf, sind die Reaktionen des Partners kaum anders als bei einem körperlichen Seitensprung – manchmal sogar schlimmer. Dabei sind Unterschiede zwischen Frauen und Männern festzustellen. So fanden US-Psychologen in einer Studie heraus, das zwei Drittel der Männer sich durch körperliche Untreue ihrer Partnerin stärker verletzt fühlen als durch einen emotionalen Betrug. Im Gegensatz dazu empfinden über 80 Prozent der Frauen eine emotionale Bindung ihres Partners an eine andere Frau weitaus schlimmer als eine rein sexuelle Affäre. Letzten Endes ist es für den Betroffenen auch egal, ob die Affäre mit oder ohne Sex stattfand, ausgelöst werden dieselben Gefühle. Man ist verletzt, fühlt sich gedemütigt und minderwertig, wütend und enttäuscht. Die Erkenntnis, dass der Partner etwas sehr Tiefgehendes, Intimes mit einem anderen Menschen teilt und damit einen wichtigen Bereich der Partnerschaft ausgelagert hat, tut in beiden Fällen weh.

Trennung oder Neuanfang?

Eine platonische Affäre ist für die Beziehung oft gefährlicher als ein rein sexuelles Abenteuer, diese Ansicht vertreten viele Psychologen. Denn aus der anfänglichen Freude, einen neuen tollen Freund gefunden zu haben, mit dem man sich perfekt versteht, kann irgendwann der Wunsch erwachsen, auch das ganze Leben miteinander zu teilen. Kommt eine emotionale Affäre ans Licht, ist die Trennungswahrscheinlichkeit also größer. Denn grundsätzlich hat die Partnerschaft in diesem Stadium nur noch eine Chance, wenn die Beziehung zur Affäre konsequent abgebrochen wird und keinerlei Austausch mehr stattfindet. Wer sich aber tief auf eine solche emotionale Affäre eingelassen hat, stellt nicht selten fest: „Ich möchte auf keinen Fall darauf verzichten, da mir sonst ganz entscheidende Dinge in meinem Leben fehlen würden. Die gefühlsmäßige Bindung an die Affäre ist dann schon weitaus stärker als an den Partner. Jetzt noch einmal die Weichen zurückzustellen, ist oft nicht mehr möglich. Wer dies empfindet, sollte dann auch offen und ehrlich mit dem Partner umgehen und ihm reinen Wein einschenken. Es nutzt niemandem, sich selbst etwas vorzumachen. Ist die innerliche Kündigung an die Partnerschaft bereits geschehen, sollte diese auch nach außen vollzogen werden. Im anderen Fall, wenn die Beziehung oder Ehe doch noch eine Chance erhalten soll, kann es sehr hilfreich sein, einen Paartherapeuten hinzuzuziehen. Oft ist es nämlich nur mithilfe eines Dritten möglich, in diesem schwierigen und komplexen Gefühlschaos sachlich die Probleme anzugehen sowie Chancen und Lösungswege zu erkennen.

Welche positiven Aspekte hat eine emotionale Affäre?

Ob emotional oder sexuell: Eine Affäre kann der Anstoß dazu sein, Defizite einer Beziehung auszugleichen und sich anderswo das zu holen, was man vermisst. In jedem Fall sollte man sich aber darüber im Klaren sein, dass eine Affäre immer auch eine Gefahr für die Beziehung darstellt. Ist sie lediglich eine Ergänzung zur Partnerschaft? Oder ist diese eigentlich schon unrettbar zerrüttet? Liebe ich meinen Partner noch, oder hält uns nur noch die Gewohnheit zusammen? Wer sich emotional an einen Dritten bindet, wird diesen Fragen noch eher und stärker ausgesetzt sein als jemand, der zwar seine sexuellen Bedürfnisse in der Affäre auslebt, aber emotional „zuhause“ bleibt.


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