Sexuelle Vernachlässigung – häufigster Grund für eine Affäre?

Was sind eigentlich die Hauptgründe für Affären und Seitensprünge? Sexuelle Unzufriedenheit spielt sicher eine große Rolle, aber es steckt oft noch mehr dahinter. Ist Vernachlässigung der Schlüssel?

Es liegt auf der Hand: Wenn man fremdgeht, eine Affäre oder einen One-Night-Stand hat, ist zwangsläufig auch Sex im Spiel. Sonst wäre es ja kein Seitensprung im klassischen Sinne. Doch ist es tatsächlich immer nur die pure Lust, die Menschen in fremde Betten treibt? Sind es in erster Linie sexuell unzufriedene Frauen und Männer, die einen Seitensprung wagen oder einen gleichgesinnten Partner für eine Affäre suchen? Oder steckt doch noch mehr bzw. anderes als bloße sexuelle Vernachlässigung dahinter? „Bei mir war es ganz sicher der Punkt, dass der Sex mit Kai total fade und selten geworden war“, erzählt Tanja (40). „Einfach, weil er keine Lust mehr hatte. Das hat mich sexuell total frustriert und auch dazu geführt, dass ich mir eine Affäre gesucht habe. Ich wollte nicht schon mit 40 mit dem Thema Sex abschließen.“

„Mit der Zeit wird man einfach ruhiger“ – Ausrede oder Tatsache?

In den meisten Beziehungen ist es ja schon so: Anfangs kann man kaum genug voneinander bekommen, fällt bei jeder Gelegenheit über sich her und genießt es, so oft wie möglich miteinander Sex zu haben. Festigt sich die Beziehung dann aber und geht einige Zeit ins Land, wird nicht nur aus der ersten stürmischen Verliebtheit eine ruhigere, gesetztere Liebe. Auch in Sachen Sex schalten wir dann ein, zwei Gänge runter. Anders würde sich der Alltag auf Dauer auch gar nicht bewältigen lassen. Schließlich ist es ganz schön anstrengend, ständig durch die rosarote Brille zu schauen und auf Wolke sieben zu schweben. Zumindest dann, wenn man auch noch einen Job und Freunde, Hobbys und vielleicht irgendwann auch Kinder hat. In den meisten Fällen endet der selbstgemachte Verliebtheits-Rauschzustand im Gehirn nach spätestens drei Jahren und die Libido pegelt sich wieder auf Normalniveau ein. Dann wird automatisch auch der Sex weniger. Das muss auch kein Problem darstellen. Oft und vor allem dann, wenn Sex wirklich nur noch sehr selten stattfindet, ist es aber so, dass doch ein Partner darunter leidet, sich mehr Sex wünscht und irgendwann enttäuscht ist, weil das Subjekt der Begierde offenbar ganz anders empfindet. Wer in der eigenen Beziehung dann auf Dauer keine Lösung findet, sucht sich möglicherweise eine Affäre oder gönnt sich ab und an einen Seitensprung, um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Denn die Aussage “es ist halt nicht mehr so wie am Anfang der Beziehung” wird oft auch als Rechtfertigung genommen,

„Aber es geht doch nicht nur um Sex!“ Oder doch?

Natürlich: Ein Seitensprung, One-Night-Stand oder auch eine längere Affäre sind dadurch gekennzeichnet, dass in ihnen Sex stattfindet. Aber ist sexuelle Unzufriedenheit auch tatsächlich der Hauptgrund, warum Menschen sich eine Affäre suchen? „So pauschal kann man das nicht sagen“, meint Silvie (41). „Es stimmt zwar schon, ich war sehr frustriert, dass Jörg mit mir nur noch ganz selten Sex wollte und dann auch nur ein halbherziges 08/15-Programm abgespult hat. Aber ich habe mich nicht nur aus diesem Grund bei einem Seitensprung-Portal angemeldet und einen Affärenpartner gesucht. Es ist ja viel mehr, was dahintersteckt: So hat es mich sehr verletzt und tut mir auch immer noch weh, dass Jörg mich offenbar nicht mehr begehrt. Mir fehlt die Nähe und Intimität, die wir am Anfang unserer Beziehung hatten. Diese emotionale Vernachlässigung ist für mich eigentlich das Schlimmste. Schließlich ist es etwas Wunderschönes und Wertvolles, mit einem Menschen so nah zusammen sein zu können, sich gegenseitig Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit zu schenken und danach zu schauen, dass es dem anderen gutgeht. Natürlich war es phänomenal, mit Marc, meiner Affäre, mal wieder richtig guten, befriedigenden Sex zu haben. Aber genauso sehr genieße ich es, einfach im Arm eines Menschen zu liegen, der sich für mich interessiert, mich attraktiv findet, mich streichelt und küsst. Kurz: Der mir alles gibt, was man doch eigentlich von einer festen Partnerschaft erwarten würde.“

Gibt es ein Recht auf Sex?

Von „ehelichen Pflichten“ ist ja immer mal wieder die Rede. Und das klingt genauso prickelnd und aufregend, wie es dann oft praktiziert wird. Sex als lustlose Pflichtübung. Es ist ja auch unsinnig, auf sein vermeintliches Recht auf Sex zu pochen, wenn der Partner einfach in diesem Moment anders empfindet und keine Lust auf Sex hat. Schließlich gibt es in jeder Beziehung Phasen, in denen es mal nicht so gut läuft oder andere Dinge im Vordergrund stehen. Gefährlich wird es nur, wenn diese Phasen zu lange andauern oder ein Ende nicht in Sicht ist. „Ich finde Steffi, meine Partnerin, noch genauso begehrenswert wie am Anfang“, erzählt Frank (44). „In der ersten Zeit unserer Beziehung hatten wir grandiosen Sex, und genau der fehlt mir. Nachdem unsere Tochter auf die Welt gekommen ist, hat bei ihr die Lust aber extrem nachgelassen. Das war zunächst kein Problem für mich, ich war geduldig und habe es als vorübergehende Phase betrachtet. Nun ist die Kleine aus dem Gröbsten raus, aber leider hat Steffi nach wie vor kein großes Interesse mehr an Sex. Zumindest mit mir. Für mich ist das so, als wäre ein wichtiger Teil unserer Beziehung einfach weggebrochen. Ich liebe sie ja, begehre sie nach wie vor und wäre ihr gerne auch körperlich nah – so, wie es gerade ist, fühle ich mich aber tatsächlich sexuell vernachlässigt.“ So wie Frank empfinden viele Betroffene, ganz gleich ob männlich oder weiblich. Wenn sich die Bedürfnisse im Laufe der Zeit auseinanderentwickeln und beim Partner das Verständnis dafür fehlt, dass man selbst noch den Wunsch nach Intimität und Sex hat, empfinden das einige sogar als Verrat an der eigenen Beziehung. Denn auf gewisse Weise sind dann die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, unter denen die Beziehung eingegangen wurde.

Seitensprung als Frustbremse – ist das legitim?

„Es klingt vielleicht etwas hart, aber eigentlich ist es gar nicht so gefühllos gemeint: Wenn ich in meiner Beziehung keinen Sex bekomme, dann hole ich ihn mir eben woanders. Das muss an der Liebe zu meiner Partnerin ja nichts ändern, macht mich aber wieder ausgeglichener und nimmt auch von ihr den Druck, sich zum Sex mit mir mehr oder weniger zwingen zu müssen“, bringt Matthias (45) seine Ansicht auf den Punkt. Tatsächlich finden einige sehr tolerante Paare durch eine Öffnung ihrer Beziehung den Ausweg aus dem Sexdilemma. Um dem unausgelasteten Partner Affären zugestehen zu können, muss die Beziehung aber schon auf einem festen Fundament stehen und die Kommunikation untereinander stimmen.

Schlechter oder gar kein Sex: Sexuelle Vernachlässigung ist nicht zu unterschätzen

Sexuelle Vernachlässigung ist ohne Frage ein bedeutender und vielleicht sogar der Hauptgrund, warum Menschen fremdgehen oder sich eine erfüllende Affäre suchen. Ebenso steht aber fest, dass dabei selten ausschließlich der reine Sex eine Rolle spielt. Meist kommen weitere Faktoren wie eine generelle Interesselosigkeit des Partners hinzu und das Gefühl, nicht mehr begehrt und attraktiv gefunden zu werden. Eine Erkenntnis, die am Selbstwertgefühl kratzt und Betroffene in der Affäre deshalb auch die Bestätigung, Aufmerksamkeit und Zuwendung suchen lässt, die sie in der Beziehung nicht mehr bekommen. „Jemandem emotional wieder nahe zu sein“, sagt Silvie, „das ist mit das schönste an meiner Affäre.“

 

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