Vergeben und vergessen: Warum wir lernen sollten zu verzeihen

Jemanden zu verzeihen ist schwierig, aber auch wichtig

Wer sehr verletzt wurde, ist vom Schritt des Vergebens meist erst mal weit entfernt. Da fällt eher der Ausspruch „Das verzeihe ich dir nie!“ Warum genau das aber ungesund ist und wie man lernen kann anderen zu verzeihen, lesen Sie hier.

Jeder von uns erfährt in seinem Leben mal Kränkungen. Kollegen, Vorgesetzte, Familienangehörige, Partner, Freunde, Schwiegermütter – irgendeiner ist uns sicher schon einmal auf die Füße getreten. Manchmal lässt es sich im Leben nicht vermeiden, dass in einer Beziehung eine Person gelegentlich enttäuscht oder verletzt wird. Die alltäglichen Kränkungen lassen sich natürlich leichter wegstecken als wirklich heftige, die sich innerhalb der Partnerschaft abspielen oder sogar bis in die Kindheit zurückreichen. Diese trägt man unter Umständen lange mit sich herum, bevor man diese verzeihen kann.

Ungesunde Folgen des „Nicht-Verzeihen-Könnens“

Die Vergebungsforschung (ja, sowas gibt es) ist ein noch relativ junger Wissenschaftszweig. Zu den führenden Fachleuten zählen Therapeut Frederic Luskin und Carl Thoresen, die seit 17 Jahren das Stanford Forgiveness Projekt durchführen. In Deutschland hat Prof. Michael Linden (Psychologe und Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie) herausgefunden, dass bei Menschen, die nicht verzeihen können, eine „Posttraumatische Verbitterungsstörung“ entstehen kann. Diese Menschen stellen ihre sozialen Kontakte ein, sind psychosomatisch gebeutelt und werden von Rachegedanken beherrscht.

Nicht bewältigte Konflikte verbrauchen demnach viel positive Energie. Wer nicht verzeihen will, bestraft sich somit demnach selbst am meisten. Denn wer in seiner Dauerqual verharrt, der wird auch nicht vergessen. So bleibt der Schmerz aber ständig präsent und verhindert, dass die Wunde heilen kann.

Es ist wichtig loszulassen und sich somit selbst zu befreien. Das bringt sowohl Erleichterung für die Seele als auch für den Körper, denn der leidet unter dem Dauerstress. Leben wir ständig unter zehrendem Stress, wird unser Immunsystem geschwächt und wir sind anfälliger für Krankheiten. Die Fähigkeit, verzeihen zu können ermöglicht es damit auch zum Beispiel psychosomatische Beschwerden zu lindern.

Verzeihen heißt nicht vergessen

Zu verzeihen heißt nicht, dass wir die erlittene Kränkung vergessen oder schönreden sollen. Wir entscheiden uns nur dazu, nicht länger zuzulassen, dass diese unser Leben dauerhaft negativ beeinflusst.

Verzeihen heilt emotional und auch körperlich

Wer sich ständig auf seine Verletzungen konzentriert, gibt der Person, die ihn verletzt hat, Macht über sich. Dieser Zustand muss verändert werden. Empathie ist unter anderem ein Schlüssel. Was hat sich der andere dabei gedacht? In welchem Bereich haben wir dem anderen die Möglichkeit gegeben, uns zu verletzen? Wenn wir versuchen uns in den anderen hineinzuversetzen, können wir nach und nach einen anderen Blick auf das Geschehene werfen.

Schlechte Nachrichten für die Pharmaindustrie: Dr. Dick Tibbits und sein Team führte am Florida Hospital in Orlando eine Studie über die Auswirkungen eines Vergebungstrainings auf Patienten mit Bluthochdruck durch. Das Ergebnis: Nur acht Wochen Vergebungstraining half nicht nur inneren Ärger zu reduzieren, sondern senkte zudem den Blutdruck der Teilnehmer, wie der Züricher Verein „Liga Leben und Gesundheit“ berichtete.

Man kann das Verzeihen als einen Akt der aktiven Lebensgestaltung sehen, denn wer verzeiht, lässt nicht zu, dass andere Menschen oder Ereignisse das eigene Leben dauerhaft beeinflussen können. Wer vergeben kann, öffnet sich für Neues.

Acht Schritte zum Verzeihen

Verzeihen muss natürlich freiwillig geschehen, das ist die erste Voraussetzung. Nicht ganz unwichtig ist, sich auch selbst verzeihen zu können. Verzeihen ist oft ein langer Prozess und beginnt mit der Erkenntnis, dass man selbst auch Schwächen hat. Wer sich so weit geöffnet hat, sollte wissen, dass es Kraft und Zeit braucht. Aber der Weg lohnt sich:

  • Sie kochen vor Wut und möchten am liebsten dem anderen den Hals umdrehen? Dann heißt es erst mal runterkommen von der 30 Meter Palme. Am besten beim Sport die Wut abreagieren.
  • Zeit verstreichen und die Sache sacken lassen. Erst wenn der Adrenalinspiegel wieder in gemäßigten Bahnen läuft, kann man wieder klar denken.
  • Fakten, Fakten, Fakten. Wer schreibt, der bleibt. Einfach mal zwischen rational und emotional trennen und aufschreiben. Wie hoch der Schaden auf der emotionalen Seite ist, kann man selbst bestimmen.
  • Empathie. Der erste Schritt für das Verzeihen ist, sich in den Gegenüber reinzuversetzen. Das soll das Verhalten des anderen nicht rechtfertigen, aber vielleicht kann man erkennen, welche Gründe es gab oder auch den eigenen Anteil an der Situation ermitteln. Unter Umständen relativiert das die Sache oder hilft uns zumindest, loszulassen.
  • Darüber reden. Damit sich nichts aufstaut, sollte man seinen Ärger nicht in sich hineinfressen. Am besten mit einer vertrauten Person darüber sprechen, das erleichtert.
  • Machen Sie sich klar: Verzeihen bedeutet nicht unbedingt, dass man sich mit dem anderen auch direkt versöhnen muss oder gar dessen Verhalten billigt.
  • Solange ich mich nur auf meine Verletzungen konzentriere, gebe ich der Person, die mich verletzt hat, Macht über mich.
  • Meist ist man viel zu streng mit sich selbst und rührt ständig in der Wunde herum. Verzeiht man sich selbst auch, so entlastet man sich von der Dauerqual, verletzt zu sein.

Man muss die Vergangenheit hinter sich lassen, indem man Ballast abwirft und die Kehrseite der Medaille „Kränkung“ sehen kann: Man hat eine wichtige Lebenserfahrung gewonnen. Nur wer stark ist, kann vergeben (Mahatma Gandhi). Verzeihen ist wichtig, um sein eigenes Leben zu leben und der innere Frieden, der sich in einem breit macht, wenn man in die Versöhnung geht, fühlt sich richtig gut an.

Zu vergeben, birgt auch immer die Chance eines Neuanfangs. Ganz im Sinne der buddhistischen Weisheit „Sei gut zu dir und vergib den anderen“.

Ihre Irene

(Der verlorenste aller Tage ist der, an dem man nicht gelacht hat.)


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