Frauen in der Midlife-Crisis: Mythos oder Realität?

Gar nicht so ungewöhnlich: Auch Frauen bekommen eine Midlife-Crisis

Ob im Internet, in Zeitschriften oder auf Werbeplakaten: Frauen ab 40 werden umgarnt und beworben auf Teufel komm raus. Es gibt für fast alles das richtige Mittelchen oder den richtigen Ratgeber: gegen Falten, um Gewicht zu verlieren, Haarausfall vorzubeugen, die Karriere voranzutreiben, drohende Depressionen oder Sinnkrisen abzuwenden.

Eine Midlife-Crisis kommt oftmals schrittweise

Oft überkommen einem in einem gewissen Alter gewisse Sehnsüchte: Man müsste nochmal so richtig was reißen oder einfach was ganz Verrücktes machen. Endlich den Motorrad-Führerschein nachholen und sich eine schönen BMW in die Garage stellen, mit einem Rucksack um die Welt reisen, sich tätowieren lassen… Es geht aber auch ganz banal: Der Job und die Kollegen nerven. So schön wäre nun die Vorstellung einfach woanders noch mal neu zu beginnen. Der ewige Kreislauf von Job, Familie, und Haushalt kratzt gehörig am Nervenkostüm. Apropos Nerven: Genau betrachtet ist man schon etwas gereizter, nicht mehr so belastbar wie mit 30 und man würde mit seiner Zeit gerne etwas „sinnvolleres“ anstellen.

Es gibt natürlich auch verschiedene körperliche Symptome, an denen wir merken, dass wir uns in der so genannten Lebensmitte befinden. Jetzt zwickt und zwackt es bei der einen oder anderen schon mal im Gebälk.

Was ist Midlife-Crisis?

Bei Midlife-Crisis denkt ja jeder unwillkürlich an den Herrn im besten Alter, der lässig im rasanten Sportwagen sitzt, neben ihm seine mindestens 20 Jahre jüngere Beifahrerin. Soweit das männliche Klischee. Umgekehrt scheint das Bild so nicht zu existieren. Was machen wir Frauen also anders oder haben wir am Ende gar keine Midlife-Crisis?

Selbstverständlich hält jeder normal intelligente Mensch in seiner Lebensmitte inne und überdenkt sein bisheriges Leben, zieht Bilanz. Wo wollte ich mal hin, wo stehe ich jetzt. Das ist doch ganz normal. Ich weigere mich aber hierbei von einer „Krise“ zu sprechen, hier geht es doch eher um Sinnfindung. Und darin steckt die Chance für einen Neubeginn. Das chinesische Wort für Krise besteht übrigens aus zwei Schriftzeichen, eins für Gefahr und eins für Gelegenheit.

Nicht mehr jung, aber noch nicht alt

Was hat Pubertät mit Midlife-Crisis zu tun? Gar nicht so wenig, wie man zunächst denken mag. Wissenschaftlich gesehen ist die Midlife-Crisis, genau wie die Pubertät, ein Teil unseres Lebens. Zum Glück sind die beiden Phasen nicht für immer. Wir können die Sache also etwas locker sehen  und uns darauf einstellen. Denn, sind wir durch das tiefe Tal marschiert, steigt die Lebenszufriedenheit wieder an. Es gibt ja bekanntlich 35-jährige Omas und 70-jährige Teenies … jugendliches Denken ist also Einstellungssache.

Die Erkenntnis der Endlichkeit kommt überraschend

In jungen Jahren haben wir gewaltige Erwartungen an die Zukunft und haben alle Zeit der Welt, leben in den Tag hinein und fühlen uns unbesiegbar, unsterblich sind wir ja sowieso. Danach hatten wir es uns vielleicht in unserer Komfortzone gemütlich gemacht und lebten so vor uns hin. Doch die Zeit bleibt leider nicht stehen. Mittlerweile haben einige von uns Bekanntschaft mit dem Tod machen müssen, als eine nahestehende Person gestorben ist. Spätestens da trifft es uns wie ein Hammerschlag und wir erkennen wie endlich wir doch sind. Das kann unsere Sichtweise schlagartig ändern. Wir denken um, wir müssen, denn wir haben doch nicht endlos viel Zeit wie wir dachten.

Wir fragen uns immer öfter, ob wir unsere wertvolle Zeit damit vertrödeln sollen, Dinge zu tun, die wir nicht mögen.  Die Antwort lautet immer öfter: “Nein, dazu ist meine Zeit zu kostbar.”

Großreinemachen mal anders. Wir ziehen also Bilanz und stellen vieles in Frage. Erfüllt der Job meine Bedürfnisse, soll ich mit einem Partner zusammenbleiben, der mir nicht gut tut? Muss ich es den anderen immer Recht machen? Wer bisher alles für die Karriere gab, fragt sich, was dafür alles auf der Strecke geblieben ist und ob es das wert war. Bei Frauen, die ihr Selbstbewusstsein bisher über ihr Aussehen gezogen haben, lösen die ersten Falten Panik aus.

In der Lebensmitte findet eine Veränderung statt, es ist die Zeit für einen oder auch viele Wechsel und neue Wege, eben ganz individuell. Wir müssen nicht alles umkrempeln aber wir fangen an, vieles zu lassen, was uns unwichtig erscheint. „Was zählt wirklich im Leben?“ ist in diesem Lebensabschnitt die zentrale Frage.

Wir können die Weichen neu stellen

Laut  dem Psychiater Carl Gustav Jung (*1875 – †1961) steht ab der Lebensmitte die wichtige Aufgabe an, die innere Persönlichkeit auszubilden. Jetzt wird auch mehr und mehr Loslassen ein Thema. Selbstbestimmt leben, nach eigenen Werten und Wünschen und Zielen heißt das Motto.

Die ein oder andere bemerkt auf einmal, dass ihr Dinge, die ihr bisher wichtig waren plötzlich unwichtig erscheinen. Wir bringen für einige Verpflichtungen nicht mehr so viel Disziplin auf wie bisher. Interessen und Hobbys verändern sich. Immer die neuesten Klamotten zu tragen verliert seinen Reiz. Ständige Diäten erscheinen uns oberflächlich und wir akzeptieren endlich unser 5 Kilo „Dauer-Übergewicht“.

In diesem Lebensabschnitt entwickeln wir unser Selbstbewusstsein am stärksten und wenn wir uns den Veränderungen in dieser Zeit stellen, gehen wir gestärkt daraus hervor. Wer jetzt die Verantwortung für sein Handeln übernimmt, wird in der zweiten Lebenshälfte viel zufriedener sein. So werden zum Beispiel die meisten Scheidungen im mittleren Lebensalter von mehr als die Hälfte von Frauen eingereicht.

Mut zur Selbstverwirklichung JETZT

Nichts und niemand kann uns jetzt daran mehr hindern. Die Kinder sind entweder „groß genug“ oder sogar schon aus dem Haus. Wir haben hoffentlich auch etwas mehr Geld als in jungen Jahren, um den ein oder anderen Traum zu verwirklichen. Dazu haben wir mehr Mut, weil wir uns keinem mehr beweisen müssen und uns die Meinung der anderen weniger juckt. Wir haben Lebenserfahrung und die macht uns auch gelassener.

Machen wir doch all das, was wir uns zwischen 20 und 40 verkniffen haben. Was sind unsere jetzigen Bedürfnisse? Es gibt so vieles, was wir noch tun wollen, starten wir durch, reisen endlich durch die Welt, lassen uns scheiden, machen uns selbständig, widmen uns einem Ehrenamt, lernen Stepptanz oder fotografieren, genießen Sex und Erotik endlich mal. Lernen uns selbst besser kennen, halten öfter auch mal inne und gleichen ab, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Meditation ist da ein gutes Instrument. Leben wir unser Leben einfach bewusster, mit Leidenschaft und positiver Energie. So leben wir auf neuen Wegen sehr oft besser, intensiver, glücklicher, erfüllter und vor allem bewusster als vor 10 oder 20 Jahren. Streichen wir  also den von Medien erfundenen Begriff Midlife-Crisis, halten es mit den Scorpions, ersetzen ihn durch „Wind of Change“ und beginnen mit dem Rest unseres Lebens.

Übrigens: „Man kann den Nachmittag des Lebens nicht nach demselben Programm leben wie den Vormittag“, hat schon mein Namensvetter Carl Gustav Jung gesagt. So isses!

Ihre Irene

(Der verlorenste aller Tage ist der, an dem man nicht gelacht hat.)

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