Für immer dein? – Nein! Gründe gegen Treue

Für immer dein? – Nein! Gründe gegen Treue

Schlimmer Titel, denken Sie? Nicht unbedingt, wenn man sich die Frage stellt, ob Treue immer glücklich macht. Es ist bekannt, dass mittlerweile jede zweite Ehe geschieden wird. Zwangsläufig muss man sich fragen, ob Monogamie für jeden das richtige Modell ist oder ob nicht vielleicht andere Formen die bessere Wahl für ein glückliches (Beziehungs-) Leben sind. Und ob es Gründe gegen Treue gibt, über die es sich lohnt, nachzudenken.

Ausnahmslos schön und herzerweichend sind Geschichten von den Paaren, die fünfzig Jahre und noch länger verheiratet sind, und gute und schlechte Zeiten gemeinsam überstanden haben. Wenn man solche Paare nach ihrem Geheimrezept fragt, bekommt man meist zur Antwort, dass Toleranz und gegenseitige Wertschätzung wichtige Dinge sind. Sie sagen, dass sich die Form der Liebe im Laufe der Jahre ändert. Und die meisten von ihnen gehen abends nicht zerstritten ins Bett, sondern versöhnen sich vorher.

Was verstehen wir unter Treue?

Wenn wir ehrlich sind, denken wir beim Thema Treue oft nicht zu allererst an derart schöne Geschichten von langjährig bestehenden Partnerschaften, sondern in erster Linie an den Umkehrschluss: Treue bedeutet, nicht fremdzugehen. Doch sind diese Paare überhaupt mal gefragt worden, ob der Partner im Laufe des Zusammenlebens fremdgegangen ist? Und bedeutet Treue heutzutage überhaupt noch das, was es früher bedeutet hat? Mit nur einem einzigen (Sex-)Partner alt zu werden?

Treue im Sinne von monogam leben ist eine Erfindung der Filmfabriken

Klar wollen wir alle, dass unser Partner treu ist, nur uns liebt und andere am besten keines Blickes würdigt. Logisch, dass wir dann mit diesem einen Partner bis ans Ende unserer Tage glücklich vereint sind, und das ohne großes Theater. Ein Haus, Kinder, Hund und alles läuft wie am Schnürchen. Tatsächlich? Diese Idealvorstellung gehört wohl leider eher ins Reich der Phantasie, der Autoren, Drehbuchschreiber, Regisseure und Schauspieler. Meist ist es nun einmal so, dass wir von der Realität eingeholt werden und das Leben Geschichten schreibt, auf die kein Autor der Welt kommen würde. Im Guten, wie im Schlechten.

Die Liebe hat viele Gesichter, Treue ebenso

So unterschiedlich wie wir alle sind, so viele verschiedene Beziehungs- und Lebensformen gibt es eben. Was den einen glücklich macht, stürzt den anderen vielleicht ins Jammertal. Vor allem hinsichtlich der Treue innerhalb einer Beziehung scheiden sich noch immer oft die Geister. Für den einen fängt Untreue bereits bei einem unschuldigen Blickkontakt an, der andere sieht selbst in sexuellen Handlungen noch keine Verletzung seines etwaigen Treueschwurs. Eine Pauschalisierung ist unmöglich.

Untreu werden: Was treibt uns in fremde Arme?

Es sind ja nicht immer nur sexuelle Gründe, die uns zu einem Seitensprung verleiten. Sicher lässt über die Jahre hinweg die sexuelle Anziehungskraft eines Paares etwas nach, darüber helfen manchmal auch keine Strapse oder ein neues Rasierwasser hinweg. Die Gründe, die uns untreu werden lassen, liegen jedoch oft tiefer. Fehlende Aufmerksamkeit, Lieblosigkeit, Interesselosigkeit, Machtspielchen und Streitereien. Schlimmstenfalls Gleichgültigkeit. Das alles sind schwerwiegende Mängel, die man in einer Beziehung erfahren kann. Wenn man das am eigenen Leib erfahren muss, liegt es nahe, dass fast jeder andere Rasen grüner wirkt wie der heimische.

Gründe gegen Treue: Treue ist auch kein Glücksgarant

Selbst wenn alles soweit eitel Sonnenschein ist, kann Treue einengen. Nämlich dann, wenn man nur treu ist, weil das gesellschaftlich so erwartet wird. Oder weil der Partner das explizit verlangt und schon beim Kennenlernen mit Verlassen droht, sollte man je jemanden anderen anrühren. Wer sich auf Dauer derart einschränken muss, zermürbt irgendwann. Oder betrachten wir das Paar, das sich zwar treu ist, aber ansonsten jegliche Gemeinsamkeiten verloren hat. Blasses Nebeneinanderherleben macht nunmal nicht glücklich.

Wie leben wir die Liebe am besten?

klare Antwort: So frei und individuell wie möglich! Wenn nicht, verdorrt diese Pflanze recht schnell zu Unkraut. Denn, was einengt, wird früher oder später gesprengt und erleidet den absehbaren Tod. Wenn Treue also zur Fessel wird, dann ist das ein Grund gegen die Treue. Denn letztendlich bringt das niemandem etwas. Der, der treu sein „muss“, macht das nicht gerne oder freiwillig. Der, der die absolute Treue verlangt, wird am Ende auch nicht richtig glücklich, weil der andere unter Umständen gegen seine Natur handelt. Wenn man sich dann aus freien Stücken heraus tatsächlich treu ist, ist es wunderbar.

Vielleicht sollte man in einer Beziehung also in erster Linie Loyalität dem Partner gegenüber anstreben. Wenn sich dann noch aufrichtige Liebe ohne Besitzansprüche und Eifersüchteleien gepaart mit ehrlichem Interesse, Wertschätzung und Toleranz hinzu gesellen, sieht das für eine Beziehung sehr gut aus. Lassen wir uns auf das Experiment ein und schieben das ganze bisher bestehende Treue-Konstrukt etwas zur Seite, um einen Blick dafür zu haben, dass sowohl der Partner als auch man selbst seine Persönlichkeit leben kann UND Geborgenheit in der Paarbeziehung findet. Dann können sich ganz neue Perspektiven am Horizont zeigen.

Die ideale Treue: Bedingungslose Liebe ohne einzuengen

Am Ende muss jedes Paar bzw. jeder einzelne für sich selbst herausfinden, welche Beziehungsform für ihn lebbar ist und somit zum Glücklichsein beiträgt. Mein Credo lautet: Bleib Dir selbst treu, dann hast Du eine gute Chance, glücklich und zufrieden zu werden. Sogar in einer Beziehung. Vielleicht ist Treue heute viel mehr eine Beschreibung für den Zustand bedingungsloser Liebe. Die Bedingungslosigkeit beinhaltet aber auch, dem Partner seine Freiräume zu gönnen. Auch, wenn diese vom Grundsatz Treue im Sinne von „Nicht-Fremdgehen“ abweichen.

Ihre Irene

(Der verlorenste aller Tage ist der, an dem man nicht gelacht hat.)

 

Buchtipp:

„Wie wir lieben: Vom Ende der Monogamie“ von Friedemann Karig

Ein Buch darüber, wie wir heute lieben wollen. Es soll keinen Ratgeber im üblichen Sinne darstellen, man kann es eher als Essay betrachten. Es erzählt von Liebe und Beziehung in der heutigen Zeit mit Geschichten von echten Paaren.

Drucken