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Nein sagen: Warum es manchmal gut tut

„Ich kann einfach nicht Nein sagen!“ Kennen Sie das auch? Vielen von uns fällt es schwer, anderen etwas abzuschlagen – aber dabei bleiben eigene Bedürfnisse oft auf der Strecke.

Im Büro sitzen Sie bis spätabends vor den Akten, weil Ihre Arbeitskollegin Sie um einen Gefallen gebeten hat und Sie ihre Bitte nicht abschlagen wollten, obwohl Sie eigentlich selbst keine Zeit haben. Zum Schluss sind Sie genervt, nur weil Sie wieder einmal nicht Nein sagen konnten. Aber warum ist das eigentlich so schwer? Die gute Nachricht: Man kann Nein sagen lernen. Wir zeigen Ihnen in diesem Artikel die Gründe, die dahinterstecken – und Auswege aus der Ja-Falle.

Ist Nein sagen schlecht?

Verhaltensmuster werden meist schon in der Kindheit gelernt. Und wenn wir so zurückdenken, verbinden wir das Wort „Nein“ meist mit einer negativen Situation. Unsere Eltern haben Nein gesagt, um uns etwas zu verbieten, uns von etwas abzuhalten, das wir eigentlich gern tun wollten. Eher widerwillig mussten wir lernen, ein Nein zu akzeptieren – kein Wunder, dass das „Ja“ sich generell größerer Beliebtheit erfreut. Wenn wir heute um einen Gefallen gebeten werden, erinnern wir uns bewusst oder unbewusst an die Kindheit zurück und wollen dem Gegenüber die unangenehme Erfahrung der Zurückweisung ersparen, wenn wir Nein sagen. Wir möchten nicht seinen Ärger auf uns ziehen, ihn nicht enttäuschen. Wir fürchten vielleicht auch, bei einem Nein nicht mehr gemocht zu werden und als egoistisch zu gelten. Und deshalb sagen wir unter Umständen auch dann Ja, wenn uns eigentlich gar nicht danach ist.

Nein gedacht – Ja gesagt: In diesen Situationen passiert es besonders oft

  • Im Job: Sie haben eigentlich Urlaub, Ihr Kollege ruft Sie dennoch zu Hause an, weil er Hilfe benötigt. Gut möglich, dass Sie auf einen Sprung im Büro vorbeifahren, um ihm zu helfen, oder? Ebenfalls ein Klassiker: Die ständig überforderte Kollegin, die ohne Ihre Unterstützung angeblich gar nicht mehr zurechtkommt. Sie übernehmen einen Teil ihrer Arbeit, ohne überhaupt noch an eine andere Lösung zu denken – und sind frustriert, weil Sie sich ausgenutzt vorkommen.
  • In der Familie/unter Freunden: „Kannst du mir bei meinen Partyvorbereitungen helfen? Dein Kartoffelsalat ist doch einsame Spitze, und alle lieben deine Donauwellen.“ – „Thomas und ich haben Kinokarten. Könntest du heute Abend babysitten?“ Besonders schwer ist es, innerhalb der Familie oder gegenüber Freunden Nein zu sagen, denn mit Menschen, die uns nahestehen, wollen wir es uns natürlich auf keinen Fall verscherzen.
  • In der Partnerschaft: Ihr Partner hat wieder einmal vergessen einzukaufen und bittet Sie mit unwiderstehlichem Hundeblick, noch schnell die Zutaten fürs Abendessen zu besorgen? Ihre Frau möchte unbedingt wieder den Urlaub am Meer verbringen, obwohl Sie eigentlich schon seit langer Zeit mal in die Berge wollten? Schwer, Nein zu sagen – aber kein tolles Gefühl, wenn dabei die eigenen Wünsche und Bedürfnisse wieder einmal nicht erfüllt werden.

Nein sagen beim Flirten, Daten & Sex

Je privater es wird, desto schwerer fällt es uns, Nein zu sagen. „Es war unser erstes Date“, erzählt Britta (43). „In den Mails, die wir vorher ausgetauscht hatten, war mir Torsten sehr sympathisch, und ich war auch gespannt auf das reale Kennenlernen. Aber Auge in Auge sprang der Funke dann doch nicht über. Die Chemie stimmte einfach nicht, und ich wollte so schnell wie möglich einen Haken an die Sache setzen. Als mich Torsten um ein weiteres Treffen bat, konnte ich dann aber doch nicht Nein sagen und ablehnen. Hinterher ärgerte ich mich darüber und sagte das Date später unter einem Vorwand ab. Blöd – es wäre besser gewesen, ihm gleich reinen Wein einzuschenken.“ Britta beschreibt eine typische Situation. Gerade beim Daten, Flirten und erotischen Kontakten ist es sehr wichtig, seine Bedürfnisse klar zu formulieren und nichts zu tun, was man nicht oder noch nicht möchte. Sei es, über sehr persönliche, intime Dinge zu reden oder auch beim Sex nur dem anderen zuliebe etwas zu tun, an dem man selbst keinen Gefallen findet.

Wie lerne ich Nein zu sagen?

Wenn andere Sie immer wieder um einen Gefallen bitten, und Sie eigentlich gar keine Zeit haben … Wenn Sie von jemandem wiederholt um Geld angepumpt werden, ohne dass er es je zurückzahlt … Wenn Sie Einladungen annehmen, obwohl Sie vorher schon wissen, dass der Abend langweilig wird oder sogar im Streit endet … Wenn Sie sich ausgenutzt fühlen, weil unangenehme Arbeiten im Büro oder Haushalt immer an Ihnen hängen bleiben – dann können Ihnen die folgenden Tipps dabei helfen, aus der „Ja-Falle“ herauszukommen und Nein sagen zu lernen.

1. Bedenkzeit verschaffen: Oft sagen wir vorschnell Ja, weil uns der andere mit seinem Wunsch überrumpelt. „Du, lass mich kurz darüber nachdenken, ich gebe dir schnellstmöglich Bescheid“ ist eine legitime Antwort auf eine spontane Bitte. Dann können Sie in Ruhe entscheiden, ob Sie Ja sagen wollen oder lieber nicht.

2. Üben Sie das Neinsagen: Machen Sie sich die Situationen bewusst, in denen Sie immer wieder zum Jasagen tendieren, ohne dass Sie es möchten – und legen Sie sich schon im Vorneherein zurecht, wie Sie beim nächsten Mal reagieren.

3. Bewahren Sie Haltung: Menschen, die nicht Nein sagen können, sieht man dies oft schon körperlich an. Sie wirken angespannt oder zusammengesunken und haben wenig Ausstrahlung. Andere spüren die geringe Durchsetzungsfähigkeit, die dahintersteckt – und nutzen dies aus. Ein Beleg dafür, dass Neinsager meist höher im Kurs stehen und für ihre bestimmte, klare Haltung geachtet werden. Es ist ein Trugschluss zu glauben, der andere könnte Sie nicht mehr leiden, weil Sie Nein sagen! Er ist höchstens enttäuscht, weil er nicht das bekommt, was er will – das hat aber nichts mit Ihrer Person zu tun.

4. Wandeln Sie negative Denkmuster in positive um! Sie denken vielleicht: „Wenn ich Nein sage, bin ich dafür verantwortlich oder daran schuld, dass der andere enttäuscht ist.“ Positiv formuliert könnte der Satz lauten: „Bestimmt versteht er meinen Standpunkt. So wie er seinen Wunsch äußert, habe ich genauso das Recht, Nein zu sagen und ihn abzulehnen.“ Oder Sie denken: „Wenn ich Nein sage, riskiere ich meinen Job oder setze die Freundschaft aufs Spiel.“ Setzen Sie sich mit solchen Ängsten nicht unter Druck – sagen Sie sich besser: „So schnell verliert man eine Freundschaft oder eine Stelle auch nicht, da muss schon mehr passieren. Sicher mache ich mir unnötige Gedanken.“

Es ist schön, anderen eine Freude zu machen oder einen Wunsch zu erfüllen. Allerdings nur dann, wenn man sich selbst deswegen nicht unter Druck setzt oder in Stress gerät. Öfter mal Nein sagen tut also gut. Und vergessen Sie nicht, Nein sagen kann man lernen. Üben Sie es, und Sie werden feststellen, dass Sie sich freier fühlen – in Ihren Entscheidungen, in der Planung Ihrer Lebenszeit und bei der Erfüllung Ihrer eigenen Bedürfnisse!

 

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