Cybersex: Schneller Genuss oder Abstumpfung der Sinne?

Cybersex: Schneller Genuss oder Abstumpfung der Sinne?

Früher war alles anders – zumindest, was unser Flirt- und Sexverhalten betrifft. An dieser Veränderung ist vor allem das Internet nicht gerade unbeteiligt. Die neue Technologie hat auch im Bereich der Erotik Maßstäbe gesetzt. Früher brauchte es ein reales Gegenüber, um überhaupt auf heiße Gedanken zu kommen. Heute dagegen genügen ein paar Klicks und schon kann es losgehen mit dem virtuellen Lusterlebnis. Aber wie sieht es mit den Gefühlen beim virtuellen Schäferstündchen aus? Und gibt es sie wirklich, die Onlinesexsucht? Wir haben genauer hingesehen und uns mit dem Pro und Contra des Cybersex beschäftigt.

Mussten Frauen und Männer in der „Vorcomputerzeit“ viel flirten und baggern, um ihr “Objekt der Begierde” für sich zu begeistern, so bietet das Internet heutzutage unzählige Möglichkeiten der erotischen Unterhaltung – jederzeit erreichbar und ganz einfach zu finden. Egal ob man in festen Händen oder solo ist: Wer erotische Inspiration oder auch einen virtuellen Seitensprung sucht, wird sicherlich online schnell fündig.

Doch wie sieht es mit den Gefühlen aus, wenn man seine sexuelle Lust nur per Internet befriedigt? Ist man auf Dauer zufrieden und erfüllt, wenn man sich im Netz Bilder nackter Tatsachen ansieht? Oder wenn man im Chat-Room heiße Botschaften mit einem Unbekannten austauscht, der dies professionell Tag für Tag mit zahlreichen anderen Interessierten ebenso macht? Oder stumpft man durch zu viel Cyber Sex nicht eher im Laufe der Zeit ab und wird unempfänglich für das, was guten Sex wirklich ausmacht? Die Antwort ist so einfach wie auf den ersten Blick auch nichtssagend: Es kommt auf die Dosis an.

Cybersex: So treiben wir´s virtuell

Unter Cybersex versteht man die verschiedenen Formen der virtuellen Erotik, aber auch sexuelle Interaktion am Computer. Das heißt: Es geht nicht zwangsweise nur um ein rein visuelles Vergnügen beim Betrachten von Pornofilmen, sondern oft auch um den Austausch erotischer Gedanken und Fantasien, zum Beispiel in Form von Chat-Sex oder Webcam-Sex. Dabei wird der jederzeit verfügbare Cybersex jedoch in der Regel von professionellen Anbietern ausgerichtet. Egal welche Form des Cybersex man wählt, eines haben alle Formen gemeinsam: Es fehlt der Körperkontakt. Alles spielt sich in der Fantasie des Sexsurfers ab, angestachelt durch visuelle oder auditive Wahrnehmung.

Ganz schön porno: Süchtig nach Sex-Surfen

Das Internet ist voll davon, wie die nackten Fakten beweisen: 12 Prozent aller Webseiten zeigen pornografische Inhalte. 25 Prozent aller Anfragen bei Suchmaschinen wie Google oder Yahoo sind pornografischer Art, das sind 68 Millionen pro Tag. Fast 30.000 Internetnutzer schauen sich jede Sekunde pornografisches Material an.

Virtueller Verkehr kann aber auch ganz andere Ausmaße annehmen: Online-Sexsucht. Schätzungen zufolge sind etwa 3 bis 5 Prozent aller Internetuser weltweit süchtig nach Online-Sexseiten, Chats oder Foren. Da kann es passieren, dass Sexsüchtige mehr Zeit vor dem Bildschirm als im realen Leben verbringen.

Ist Cybersex grundsätzlich verwerflich?

Cybersex hat sicher auch gute Seiten. Die virtuelle Lust ist jederzeit verfügbar, tabufrei und ungefährlich – wenn man mal von etwaigen Kostenfallen oder virenverseuchten Websiten absieht. Internet-Sex ist zudem unverbindlich. Wenn die Beziehung fade wird und sprachlos der Alltags-Paarlauf absolviert wird, steigt das Bedürfnis nach prickelnder Abwechslung. Die kann man sich einfach schnell im Internet besorgen. Und auch erotische Dürreperioden, beispielsweise wenn man Single ist, kann man gut mit Cybersex überbrücken. Selbstverständlich kann und muss jeder für sich selbst entscheiden, wieviel Raum er dem letztendlich doch gefühllosen Online-Sex zugestehen möchte.

Das große Aber: Warum Cybersex auf Dauer nicht glücklich macht

Bevor man den Computer im wahrsten Sinne des Wortes anmacht, sollte man sich darüber im Klaren sein, warum man es tut. Wenn nämlich Pornokonsum und Cybersex zu einem Ersatz für die Realität werden, droht man irgendwann den Sinn für diese zu verlieren. Wer seine Sexualität im Netz auslebt, scheint auf den ersten Blick nichts zu tun, das Schaden mit sich bringt. Aber ist das wirklich so? Das Beispiel von Chris (38 Jahre) zeigt mögliche Auswirkungen: „Ich hielt meinen Pornokonsum im Internet für eine harmlose Ablenkung. Auch am Arbeitsplatz habe ich ganz gern mal kurz gesurft. Bis sie die Zugänge gesperrt haben. Von vielen meiner Freunde habe ich immer wieder gute Links für kostenlose Sexseiten bekommen. Das sind quasi männliche Schnäppchentipps. Ich war gerade Single und hatte einfach Lust. Als ich dann wieder eine nette Frau kennenlernte, merkte ich, als es ‘ans Eingemachte’ ging, dass ich viel mehr Kopfkino brauchte wie früher … und leider den Sex gar nicht mehr so richtig genießen konnte. Ständig hatte ich das Gefühl, die Erektion geht flöten, es war einfach alles viel zu verkopft. Und schlimm war: ich konnte trotzdem nicht damit aufhören, weiter Pornos anzuschauen und Sexcam-Seiten zu besuchen.“

Chris ist übrigens kein Einzelfall. Vielen gelingt das Ende der virtuellen Sexkarriere kaum. Oftmals ist sogar die professionelle Hilfe eines Therapeuten angesagt, um die Sucht zu bekämpfen. Allein in Deutschland leiden knapp eine halbe Millionen Menschen an Pornosucht. Vereinsamung, Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben, Isolationsgefahr drohen, wenn der Cybersex zu einem Suchtverhalten wird. Dann wird Cybersex zu einem echten Problem.

Cyber Sex ist nicht zu verwechseln mit Casual Sex

Da in den letzten Jahren nicht nur das Ausleben sexueller Lust immer öfter durch virtuellen Anreiz stattfindet, sondern auch die Online-Partnersuche für erotische Abenteuer beträchtliche Zahlen aufweist, könnte man dazu verleitet werden, beides über einen Kamm zu scheren. Der große Unterschied ist jedoch, dass beim Casual Sex – dem Gelegenheitssex – Treffen mit realen Personen stattfinden. Viele Frauen und Männer genießen es durchaus, sich vorab über Nachrichten und Chats kennenzulernen und vielleicht auch entsprechend erotischen Schriftverkehr zu pflegen – was man dann durchaus auch als Cybersex bezeichnen könnte. Fakt ist jedoch, dass die Online-Partnersuche auf ein baldiges Treffen abzielt. Außerdem ein nicht zu unterschätzender Punkt: Die meisten möchten neben unverbindlichem realen Sex auch das ganze “Drumherum” miterleben, was ein erotisches Abenteuer letztendlich auch so aufregend und schön macht. Flirten, sich riechen, schmecken und vor allem fühlen. Denn das kann kein Computer ersetzen.

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